Gießener Anzeiger, 18.3.2019: Geschwister, zwei Geigen und ein Konzert der anderen Art: „The Twiolins“ begeistern in Lich mit „Secret Places“ und sorgen für einen besonderen Abend in der Bezalel-Synagoge.

Auf der Bühne steht keinerlei Elektronik. Im Fokus: zwei Geigen. Im Kulturzentrum Bezalel-Synagoge ist am Freitag Musik angesagt, die Licher Kulturtage rollen voran. Zu Gast sind „The Twiolins“, die Geschwister Marie-Luise und Christoph Dingler. Ihr Programm heißt „Secret Places“, das klingt verheißungsvoll. „The Twiolins“, nach ihrem Auftritt in der Basilika im Jahr 2017 zum ersten Mal in Lich, laden in ihrer Moderation das Publikum zu einer Entdeckungsreise „in die verborgensten Orte tief im Inneren ihrer Fantasie“ ein. Schon der erste Titel belegt, dass dies ein besonderer Abend werden wird. Die Geschwister musizieren seit ihrem zwölften Lebensjahr, sie leben in Mannheim. In „Metamorphosis“ erlebt man einen angerockten Popschwung mit klaren Dynamikwellen, definitiv tanzbar. Von einem Geigenduo.

Es folgt das erste Glanzlicht, ein Titel aus den Karpaten, mit einem naturartigen Zupf-Intro, das poetisch und narrativ ist, mit einem progressiven folkloristischen Schwung. Die charakteristischen Aspekte der Region sind ganz deutlich erkennbar. Das Repertoire ist ungewöhnlich, es sind eigens für sie geschaffene Kompositionen. Die beziehen sie aus einem 2009 von ihnen gegründeten Kompositionswettbewerb, um das Repertoire für zwei Violinen zu vergrößern und weiterzuentwickeln. „Mahanada“ („der große Klang“), ein Raga, ist das nächste Stück. Der Sound erinnert an die Sitar, es gibt zahlreiche Glissandi, und das Ganze wirkt typisch indisch. Bis plötzlich tänzerische, europäische Klangelemente das indische Fluidum ergänzen. Alles fließt in diesem Titel, der eine ungewöhnliche Klang- und Stilvielfalt besitzt.
Prägend für das Zusammenspiel der Geschwister Marie-Luise und Christoph Dingler ist ihre intuitive Vertrautheit und die enorme Dichte des Zusammenspiels. So verschmelzen die Instrumente zu einem einzigen – oft ziemlich großen – Klang, aus dem mal rhythmische, mal melodische Elemente hervorgehen, die in der herausragenden Geschlossenheit des Zusammenspiels eine seltene Klarheit erreichen. Ihre Kooperation ist wunderbar, besonders in den leisen Phasen, wenn sich die Dinglers bis an die Grenze zum Tonabriss vorwagen und nicht selten einen Titel in die Stille des Raums hinein ausschwingen lassen. In dieser eindeutig gesetzten kurzen Zeit kommen die hoch konzentrierten Zuhörer dazu, aus der Musik wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren. Die „Twiolins“ entwickeln einen beeindruckend großen Strauß von Klängen und nicht zuletzt Techniken – Rockelemente sind bei den „Secret Places“ nicht unwichtig – und arbeiten als Handwerker auf der höchsten Qualitätsstufe. Vor allem greift ihre ungewöhnliche Spielfreude schnell aufs Publikum über. Das hat sich im Nu auf das Duo eingehört, schwingt sichtlich mit und spendet von Anfang an heftigen, langen Beifall. Die Zeit vergeht wie im Fluge, dann kommt als Zugabe mit Riesenschwung der „Sommer“ aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ als eigene Bearbeitung (mit Hitzewellen). Vergessen wird man ihn nicht so bald.

Von Heiner Schultz

Foto: Markus Steffen, Wängi

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